Aus wie vielen Augen schaust du heraus? Natürlich sehen andere Leute bei dir zwei Augen, und du siehst auch zwei im Spiegel. Aber wie viele siehst du von deinem eigenen Standpunkt aus? Wirf einen frischen Blick auf dich selbst. Vielleicht hast du etwas Offenkundiges und Wunderbares übersehen.
Ich schaue aus einem einzigen Auge. Eigentlich ist es nicht einmal ein Auge – es ist ein grenzenloser, ungeteilter Raum, ein rahmenloses, weit offenes Fenster. Aus diesem klaren Fenster sehe ich im Augenblick meinen Schreibtisch und Computer, und dahinter meinen Garten.
Dieses eine Auge ist kein menschliches Auge. Es ist Gottes Auge, das Auge des Einen Selbst, das Auge des Buddha ...
Schaust du auch aus einem rahmenlosen Fenster, einem einzigen Auge – Gottes Auge?
Um deine Aufmerksamkeit nach Hause auf dein eines Auge zu lenken, halte deine Hände vor dich als wären sie Brillengläser, die du dir aufsetzen möchtest. Wenn du eine Brille trägst, halte stattdessen sie mit ausgestrecktem Arm vor dich.
Du siehst zwei Gucklöcher. Jedes gibt einen anderen Blick frei.
Nun bring sie langsam näher und setze sie auf.
Was geschieht mit der Trennlinie zwischen den beiden Gucklöchern, wenn du die „Brille“ aufsetzt? Ist es nicht so, dass sie verschwindet und einen ungetrennten, grenzenlosen Raum zurücklässt, einen ungetrennten, grenzenlosen Raum, der du bist?
Verfolge den „Rand“ deines Blickfelds. Beachte, dass du ihn nicht direkt anschauen kannst. (Alles, was du direkt anschaust, bewegt sich in die Mitte deines Blickfelds.)
Gibt es wirklich einen „Rand“, eine klare Grenze? Oder wird dein Blickfeld am Rand immer verschwommener, ehe es ganz verschwindet? Wohin? Ins Nicht-Ding-Nichts? In dein einziges, grenzenloses Auge?
Bewege deine Hand zu diesem Rand. Sieh, wie sie dort entschwindet. Denn dies ist der Ort, an dem Dinge sich auflösen.
Wie weit ist dein Auge? Weiter als die Welt?
Jede Linie oder Grenze in der Welt trennt die Dinge in zwei Seiten. Jedes Ding hat ein Umfeld, ist von anderen Objekten umgeben. Überprüfe dies, indem du dir die Dinge ringsherum anschaust.
Aber es gibt eine Grenze, jenseits derer es keine Dinge gibt – die Grenze rund um deinen Blick auf die Welt.
Wenn ich aufmerksam auf diese „Grenze“ achte, finde ich nichts diesseits. Es ist eine einzigartige „Grenze“.
Hier ist der „Rand der Welt“. Was ist diesseits? Eine Unendlichkeit? Du bist diese Unendlichkeit, in der die Welt wogt. Alle Dinge sind in dir.
Entspannung
Du kannst dein eines, einziges Auge überall und jederzeit wahrnehmen. Entdecke, wie entspannend es ist, keine begrenzenden Ränder zu haben. Es gibt keinerlei Spannung in dieser ausgedehnten Klarheit. Welch eine Ressource in stressigen Zeiten!
Die Vielen und der Eine
Der Blick nach außen aus diesem einen Auge heraus ist für jede Person einzigartig und ständig wechselnd. Wenn ich herausschaue, sehe ich im Augenblick mein Wohnzimmer; du wirst etwas anderes sehen. Aber was ist mit dem Blick nach innen? Wie könnte meine Sicht in dieses eine Auge hinein anders sein als deine? Hier gibt es nichts, was unterschiedlich gesehen werden könnte. Hier sind wir Eins.
Auszug aus dem Video-Interview „Douglas Harding, His Life and Philosophy“
Was die Transformation von zwei kleinen Gucklöchern zu einem Fenster so groß wie die Welt betrifft: In Indien sprechen sie vom Öffnen des Dritten Auges. Aber muss man nach Indien oder Mexiko oder Japan oder sonst wohin reisen, um das Dritte Auge zu öffnen? Ist es nicht hier und jetzt verfügbar, egal wo man sich aufhält? Haben Sie je aus etwas anderem als diesem Fenster herausgeschaut?
Wissen Sie, sechshundert Jahre vor Christus sagte man in Indien, dass es einen Seher in allen Lebewesen gibt. Einen Seher! Die Sufisten sagten es, die Buddhisten ebenso. Hui Hai, ein großer Buddhistischer Zen-Meister, sagte: ‚Sehen wir mit unseren Augen? Nein, wir sehen mit unserer Buddha-Natur.’ ‚Wir sehen mit einem Einzigen Auge, sagten später die Meister des Sufismus. Ein Seher. Dies ist das Auge, aus dem wir herausschauen. Ich finde das absolut außergewöhnlich. Sieh, woraus du herausschaust! Und so seltsam es ist, es stimmt mit der modernen Wissenschaft überein. Augen sind Teil des Prozesses zur Aufbereitung des Gesehenen. Sie helfen zu bestimmen, was wir sehen, aber das Sehen geschieht nicht in den Augen. Der Reiz muss erst durch die Sehnerven zum Gehirn weitergeleitet werden, wo er in einer bestimmten Region verarbeitet wird. Es beginnt also mit der Sonne und dem Licht, das zur Erde strahlt. Das Licht wird durch die Atmosphäre gefiltert, trifft auf ein Objekt, wird von dort in unser Auge geworfen, und gelangt schließlich in die Sehrinde des Gehirns, wo die Geschichte von Atomen, Partikeln und so weiter aufgenommen wird. Erst wenn dieser Endpunkt erreicht ist, sagen Sie: ‚Hey, ich sehe dich.’ Das, was mit der Galaxie und dem Licht der Sonne da draußen beginnt, endet hier mit der Einwirkung auf Partikel. Und genau hier, wo das All zum Nicht-Ding wird, findet Sehen statt.
Das ist die wissenschaftliche Geschichte, und es ist auch meine Geschichte. Hier findet Sehen statt. Im Nicht-Ding, das ich hier bin, ist der Seher, der große Seher, das eine Auge und das Eine. Ich finde das wirklich fabelhaft. Fabelhaft! Du hast nie aus etwas anderem herausgeschaut als dem, was im Osten das Dritte Auge genannt wird. Mir scheint, dass der Allmächtige in seiner Güte, unverdient, aus reiner Gnade, die Einladung über uns ausschüttet, Einheit mit ihm zu feiern. Wissen Sie, der Heilige Thomas von Aquin, der große Denker der katholischen Kirche im Mittelalter, schrieb großartige theologische Bücher über den katholischen Glauben und ist bis heute als gewichtige Autorität anerkannt. Am Ende seines nicht sehr langen Lebens sagte er: ‚Alles, was ich geschrieben habe, kommt mir vor wie Stroh im Vergleich zu dem, was ich gesehen habe. Worauf es ankommt, ist die Anschauung Gottes, die Visio Beatifica der Einheit mit Gott. Darauf kommt es an. Das ist der Sinn unseres Lebens.’
Daher sage ich: Mache dir diese Visio zu Eigen! Mache sie dir zu Eigen!
Aus einem anderen Interview mit Douglas Harding
Worte sind nebensächlich. Alle Lehrer würden zustimmen, dass wir durch Tun lernen. Was ich mitzuteilen habe, ist eine tätige Sache, etwas Aktives. Setzen Sie sich die Brille auf und sehen Sie, wie die beiden Gucklöcher eines werden – Sie schauen aus einem Auge heraus, das so weit wie die Welt ist. Dein menschliches Auge siehst du im Spiegel. Das Auge so weit wie die Welt ist kein menschliches Auge. Es ist das Auge des Einen Sehers in allen Lebewesen, von dem die Upanischaden sprechen. Das Tun ist das Wichtige.
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Zitate
Sage mir nur, was deine Augen sind. Genro
Du bist nicht jener Körper: du bist dieses spirituelle Auge. Rumi
Löse deinen ganzen Körper in das Sehen auf: werde Sehen, Sehen, Sehen! Rumi
Ich habe von ihm Rumi gelernt, ohne Augen zu sehen, ohne Ohren zu hören, ohne Mund zu trinken. Kabir
Wer das Unendliche in allen Dingen sieht, sieht Gott. Blake
Brot ist der Baustein für den Körper-Kerker,
Wein ist ein Regen für den Seelen-Garten.
Ich habe die Enden der Erde zusammengeknüpft:
Öffne du jetzt den Krug des Himmels.
Schließ all die Augen, die nur Mängel sehen,
Und öffne jene, die das Unsichtbare schauen. Rumi
Werde Sehen selbst. Plotin
Echtes Sehen ist augenlos. Anandamayi Ma
Das Auge ist das Licht des Leibes. Wenn dein Auge lauter ist, so wird dein ganzer Leib von Licht erfüllt sein. (Lk 11,34; Mt 6,22) Jesus
Jesus sprach zu ihnen: Wenn ihr die zwei zu einem macht ..., dann werdet ihr eingehen in das Königreich. (Logion 22) Thomasevangelium
Es war .. das Gleichnis von meinen Augen und von dem Holze. ... Geschieht aber das, dass mein Auge an sich selbst eins und einheitlich ist und aufgetan und auf das Holz geworfen wird mit einem Ansehen, so bleibt ein jegliches, was es ist, und doch werden sie in der Wirksamkeit des Ansehens wie eines, so dass man sagen kann: Auge-Holz, und das Holz ist mein Auge. Meister Eckhart
Ein Narr sieht nicht denselben Baum, den ein Weiser sieht. Er, dessen Antlitz kein Licht aussendet, wird nie zum Stern. Blake
Die Meister sagen: Hätte das Auge irgendwelche Farbe in sich, wenn es wahrnimmt, so würde es weder die Farbe, die es hätte, noch eine solche, die es nicht hätte, wahrnehmen; weil es aber aller Farben bloß ist, deshalb erkennt es alle Farben. Meister Eckhart
Soll mein Auge die Farbe sehen, so muss es ledig sein aller Farbe. Sehe ich blaue oder weiße Farbe, so ist das Sehen meines Auges, das die Farbe sieht, dasselbe wie das, was da gesehen wird mit dem Auge. Das Auge, in dem ich Gott sehe, das ist dasselbe Auge, darin mich Gott sieht; mein Auge und Gottes Auge, das ist ein Auge, und ein Sehen und Erkennen und ein Leben. Meister Eckhart
Er wurde einäugig. Attar
Der Tathagata wurde das Auge des Universums. Parinirvana Sutra
Ich wurde ein transparenter Augapfel; ich bin nichts; ich sehe alles. Emerson
Als Chang Ching, nach zwanzig Jahren Meditation, den Schleier schließlich lüftete und die äußere Welt sah, verlor er sein ganzes vorheriges Verständnis des Zen und rief aus: „Wie ich mich doch geirrt habe! Wie ich mich doch geirrt habe! Nimm die Blende weg und sieh die Welt!“
Du siehst jene Augen schauen, aber sie gleichen Bildern in einem Badehaus: sie sehen nicht. Die Form erscheint, O Formenanbeter, als würden ihre zwei toten Augen schauen. Rumi
Wenn es kein Auge gäbe, was dann? Wenn es kein Ohr gäbe, was dann? Wenn es keinen Mund gäbe, was dann? Wenn es keinen Geist gäbe, was dann? Wenn man weiß, wie man unter solchen Umständen agiert, befindet man sich in Gesellschaft der altehrwürdigen Patriarchen und Buddhas. Blue Cliff Record
Ich schaue und höre, ohne Augen und Ohren zu benutzen. Lieh-tzu
Wodurch nehmen dieser Körper oder Geist wahr? Können sie mit den Augen und Ohren wahrnehmen …? Nein. Nur deine eigene Natur, rein und vollkommen still, ist imstande zur Wahrnehmung. Hui-hai
Es gibt keinen Seher außer Ihm ... dem Einen Unsterblichen. Brihadaranyaka Upanishad
Es ist das Ungeborene, das sieht und hört, isst und schläft. Bankei
Hat das Gesicht den Raum erst überwunden,
Tut sich dem Seelenauge ein zweiter Himmel auf. Rumi
Nur Gott hat Sehen, Hören. Al-Arabi
Wenn du Ihn siehst, der ewig ist, ist dies die große Vision. Dialog des Erlösers
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Kommentare
Als ich ein Junge war, versuchte ich mir oft den Rand des Universums vorzustellen. Was mir dabei in den Sinn kam, war eine rote Backsteinmauer, die immer weiter ging, ganz um den Rand herum. Natürlich realisierte ich dann immer, dass es eine andere Seite der Backsteinmauer geben müsse, so dass es gar nicht der Rand sein konnte.
Indem ich sehe, wer ich bin, indem ich das eine Auge sehe, kann ich nun den Rand des Universums erkennen. Er ist genau hier, innerhalb meiner Erfahrung. Aber es ist ein spezieller Ort. Ich kann ihn nicht direkt anschauen. Es ist kein Rand wie andere Ränder – die immer ein anderes Ding auf der anderen Seite haben. Dieser Rand ist der Rand zwischen Dingen und Nicht-Ding. Es ist keine klare Linie, sondern sie verschwimmt immer mehr – aber diese Beschreibung trifft nicht ganz den Punkt. Trotzdem: das ist er, der Rand des Universums. Mein Kindheitsrätsel ist gelöst. R.L. UK
Als ich ein Mädchen war, versuchte ich mir oft vorzustellen, woher ich kam. Nachts im Bett, vor dem Einschlafen, versuchte ich mir erst mich vorzustellen, dann was vor mir kam, dann was davor kam, und davor, und davor, ad infinitum, bis ich zum Wesen oder Mittelpunkt von „dem“ kam, das nirgendwo war. Indem ich jetzt aus dem einen Auge schaue, kann ich immer noch diesen Weg gehen, und im Zentrum ist das „Ich“, das all das enthält. Und mein Kindheitsrätsel ist gelöst. K. USA
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